Julius Hübner                            1871

1806 – 1882

 

Das Sonett

 

„Sonett“ von „sono“ kommt, von Klang und Klingen,

Und darum soll es voll und lieblich tönen,

Erfüllt von allem Hohen, allem Schönen,

Wie glühend Gold im Fluß die Form durchdringen.

 

Ein Wunderwortgeflecht soll ihm gelingen,

Sich Holdgestalt mit Vollgehalt versöhnen,

Sein Inhalt ganz der Form sich eingewöhnen,

Der Geist das Wort mit Liebeskraft bezwingen.

 

Ein gold’ner Kelch, d’rauf Ornament gegraben

Und Nektar d’rim, Olympos’ Götterwein,

Soll das Sonett den Durst der Seele laben.

 

Dein Danymedes will der Sänger sein,

Der Götter Herrlichkeit, du sollst sie haben,

Schlürfst du im Trunk den Himmel selig ein!

 

 

 

Deutsche Metrik

 

Kurz oder lang?  Ich hab’s nie ganz begriffen

Und meinen kurz und langen Vogelsang,

Wie mir’s im Ohre just und Herzen klang,

Mit reinem Vogelübermuth gepfiffen.

 

Nie hab ich viel daran herumgeschliffen,

Denn sicher war ich, daß es mir gelang,

Daß er von Herz zu Herzen richtig drang,

War ich nur selber ganz davon ergriffen.

 

Kommt man mit „lang und kurz“ doch in’s Gedränge,

Spricht man von Lebens Kürze oder Länge,

Von Erdenraumes Weite oder Enge!

 

So dicht’ ich Lieder kurz und lang indessen;

Sind über kurz sie oder lang vergessen,

Was sollt’ ich lang und kurz so ängstlich messen?

 

 

 

Lenzsegen

 

Ein schwer Gewitter stand am Himmelsbogen,

Da zuckt’ ein Blitz, ein Donnerrollen klang,

Das durch die ganze Himmelsfeste drang - -

So ist der Frühling diesmal eingezogen.

 

Nun rauscht’ es nah’ und näher wie ein Wogen,

Bis weicher, warmer Regen niedersank;

Die durstgelöschte Erde duftet Dank

Für die Erquickung, die sie eingesogen.

 

Dem Frühlingssegen öffnen sich die Blüthen,

Die Wälder grünen und die Saaten sprießen,

Und reiche Aernte ruht in jungen Keimen.

 

O Herr der Welten, wollte sie behüten;

Daß deiner Gnade Früchte wir genießen,

Gieb volle Wahrheit holden Frühlingsträumen!

 

 

 

Orpheus und Eurydice

 

Zum Hades zog der holden Gattin Schatten

Den treuen Orpheus über Tod und Grab,

Durch Lethe’s und Cocytus’ Fluth hinab,

Und Orcus’ Fürst erbarmte sich des Gatten.

 

Die Heißgeliebte will er ihm gestatten,

Sie soll ihm folgen, unaussprechlich Glück!

Doch eher darf sie treffen nicht sein Blick,

Bis sie nicht hinter sich den Hades hatten.

 

Schon hellt das Licht der dunkeln Tiefe Grab;

Weh’ Eros’ Macht!  Er schaut ihr Bild am Tage,

Und der geliebte Schatten sinkt hinab.

 

Was half ihm nun des strengen Gottes Huld?

Was er verloren durch der Liebe Schuld,

Haucht weinend er in seiner Lieder Klage.

 

 

 

Abendstern

 

Still stand der Abendstern am Wolkenrand,

Undwie durch eines Zaubers magisch Walten

Fühlt’ ich von seiner Strahlen Lichtgewalten

Den Blick unwendbar fest auf ihn gebannt.

 

Doch immer höher stieg die dunkle Wand,

Vor Furcht erbebend will mein Herz erkalten,

Mit meinem Auge will ich fest ihn halten –

Vergebens, ach! der schöne Stern verschwand.

 

Und brannten rings noch alle Sternenheere,

Ich sah doch nichts als öde, dunkle Leere,

Erloschen war des ganzen Himmels Pracht.

 

So bist auch du, mein Stern, in Nacht gesunken,

Und leuchten rings noch tausend Freudenfunken –

Mein Herz fühlt nur die tiefe, dunkle Nacht.